Kwilcz – Lubieszewo 777 Km m.d.M.

Malte Haui:

Die Augen kneifen. Es ist kaum noch möglich, den Staub ständig aus den Höhlen zu wischen. Seit einer geschlagenen halben Stunde stehen wir mitten im Wald, den Schweiß am ganzen Körper spürend und mit Notwerkzeug in der Hand. Jays Kofferhalterung ist gebrochen – und zwar mitten im Nirgendwo. Nun heißt es: Improvisieren. Das Einfachste ist erstmal, den Koffer direkt auf (!) das Bike zu schnallen und das übrige Gepäck bei Petz und mir zu verstauen.

Vier Stunden vorher: Voller Tatendrang finden wir den Einstieg in unsere heutige Offroad-Etappe. Das Hinterrad wedelt vor Freude im Kies und rechts und links flanken uns Nadel- und Birkenwälder. Niemand sonst scheint diese Wege heute zu benutzen und wir machen ordentliche Kilometer mit fast 50km/h mitten im Gelände. Was für ein schönes Stück Natur. Nach und nach wird der Wald dichter und der Bodenbelag anspruchsvoller. Immer wieder durchqueren wir tiefe Sandkuhlen, die am Vorderrad reißen. Durch das enorme Gewicht unserer Beladung schlingert sich das Heck in einen Panikmodus. Es dauert nicht lang und die erste Maschine liegt in der Waagerechten. Der Sand lässt uns weich fallen, doch das eigentlich Problem tritt erst infolge in Erscheinung: die vielen hundert Kilos wieder aufzurichten. Nur mit vereinten Kräften schaffen wir es und noch viele, viele weitere Male heute. Die Navis haben längst den Dienst eingestellt, wir sind auf unsere Orientierung angewiesen und langsam verstehe ich auch, warum der Fährmann, der uns über den Fluss floßierte, meinte,er würde nie in diese massiv große Labyrinth von Wanderwegen und Trampelpfade fahren. Zu leicht ist es, sich hier zu verirren. Nach einer längeren Auffahrt stehe ich auf der höchsten Erhebung und blicke über einen große, grüne Wiese. Nun heißt es, sich in Erinnerung rufen, wie man unbeschadet solche eine Neigung herunter kommt. Mit klopfendem Herzen erreiche ich das Tal und grunze vor Erleichterung. Jay erscheint oben – ich kann ihm leider keine Tipps zurufen und er legt los. Natürlich beginnt das Gewicht von hinten zu drücken und Jay verliert mehr und mehr die Kontrolle auf dem Weg nach unten. Was er macht, ist das einzig Richtige – auf der Ebene – am Gashahn ziehen. Hier am Abhang bewirkt es aber das Gegenteil: Jannis schießt auf die Sohle zu wie ein Skispringer gen Absprungspunkt. Er rast über den Scheitelpunkt mitten in die Wiese, wo sich jedoch eine enorme Bodenwelle befindet. Wie eine Rampe befördert sie Jay in die Luft und das 300 Kilo Motorrad hebt tatsächlich mit Gepäck und samt Jay vom Boden ab. Die wilde Kuh will ihn abwerfen, aber – ich kann es immer noch nicht glauben – Jay bleibt im Sattel! Unfassbar. Er steht nun mitten in einer kniehohen Grasfläche, aber er steht. Patrick hinterher, nicht viel weniger spektakulär. Aber nach und nach manövrieren wir die Motorräder aus dem Krisengebiet und gelangen etwa eine Stunde später wieder auf Asphalt.

Später durchfahren wir den Drawski Nationalpark und geraten erneut auf stollenfreudigen Untergrund. Eigentlich fehlt uns längst sämtliche Energie zur Tour durch Enduristan, die Natur macht aber alles wett. Es riecht nach Tannen und die leichten Stein-, Schotter- und Waldbodenstrecken fühlen sich fast nach einer Entlastung an. Traumhaft. Selten war ich körperlich so gefordert auf dem Motorrad. Aber Spaß ist eben nicht immer spaßig und am Ende der Etappe haben wir wahrscheinlich mehr erlebt, als so mancher auf einer ganzen Tour.

Die Zelte errichten wir auf einem ganz besonderen Campingplatz. Er befindet sich auf einer kleinen Insel, auf die uns ein Floß bringt. Nun sitzen wir im Schatten der BMWs, befeuern den Grill und blicken auf die roten Sonnenstrahlen, die sich im ruhigen Wasser spiegeln.



















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